Selbstmord Dr. Thomas Schäfer: Wenn sogar Abschiedsbriefe zensiert werden

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Bild: Wikimedia Commons, Martin Kraft, Bildlizenz: CC-BY-SA 4.0

von Niki Vogt

Der Finanzminister des Bundeslandes Hessen, Dr. Thomas Schäfer, wird im Spiegel als ein sorgfältiger, disziplinierter Mensch beschrieben, verantwortungsbewusst, ehrgeizig, zielstrebig. Er war, so der Spiegel, auf der Zielgeraden zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes Hessen, sobald der jetzige Amtsinhaber Volker Bouffier in den Ruhestand geht. Hohe Intelligenz, ein Jurastudium, eine Bankausbildung und seine eiserne Selbstdisziplin gaben Dr. Thomas Schäfer das Rüstzeug für eine beachtliche Karriere. So ein Mann bringt sich nicht einfach um und überlässt Frau und zwei Kinder dem Schicksal. Er muss sehr verzweifelt gewesen sein.

Dazu schreibt der Spiegel:

Bislang sind die Gründe unklar, aus denen Thomas Schäfer wohl beschlossen hat, sein Leben zu beenden. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er sich offenkundig zu erklären versuchte. Und es gibt die Einschätzung von Regierungschef Bouffier, dass Schäfer „erdrückt“ worden sei von der Sorge, die „riesigen Erwartungen der Bevölkerung“ in der Coronakrise nicht erfüllen zu können, also zum Beispiel nicht genug Geld für staatliche Hilfen bereitstellen zu können.“

Das schreibt der ehedem für seine rücksichtslose Wahrheitsliebe berühmte Spiegel, als er noch mit dem bewundernden nom de guerre des „Sturmgeschützes der Demokratie“ bedacht wurde, wider besseren Wissens.

Dr. Thomas Schäfer, dessen zur Unkenntlichkeit zugerichtete Leiche an den Gleisen der ICE-Strecke Köln München gefunden wurde, konnte nur durch DNA-Proben identifiziert werden. Das bedeutet, er ist vor den Zug gelaufen. Die kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen, dass es ein Selbstmord gewesen sein muss. Und das bestätigt auch sein Abschiedsbrief.

Dessen Inhalt wurde direkt nach der Meldung seines Freitodes in groben Zügen in der FAZ wiedergegeben, aber sehr schnell gelöscht und mit der Formulierung abgetan: Wie aus Ermittlerkreisen zu hören war, hat Schäfer einen Abschiedsbrief hinterlassen. Darin habe er die Gründe für seinen Suizid genannt. Weitere Angaben zum Sachverhalt wollten die Ermittler am Samstagabend nicht machen.“

 

 

Allerdings zu spät. Der originale FAZ-Text an dieser Stelle wurde natürlich von der Internetgemeinde sehr wohl zur Kenntnis genommen und gespeichert. Er lautete: „Wie aus Ermittlerkreisen zu hören war, hat Schäfer einen Abschiedsbrief hinterlassen. Darin habe er die Gründe für seinen Suizid genannt. Dem Vernehmen nach soll Schäfer darin von einer „Aussichtslosigkeit“ gesprochen haben, die er gesellschaftlich, aber auch bezogen auf die wirtschaftliche Lage des Landes sehe. Diese Aussichtslosigkeit habe er unter anderem konkret auf die derzeitige Situation bezogen, die ihm offenbar „zu schaffen“ gemacht habe. Ob dies allerdings mit konkreten Ängsten in Bezug auf den Coronavirus zusammenhänge oder eher allgemeiner Art gewesen sei, das sei auch für die Ermittlungsbehörden derzeit nicht ersichtlich.“

Der Spiegel deutet davon nur ein wenig an. Die FAZ hat den Text sehr schnell zurückgezogen, denn die hessische Landesregierung und mehrere Landtagsabgeordnete übten heftige Kritik an der teilweisen Offenlegung der Suizidgründe. Vielleicht auch aus Pietät, aber durchaus nicht vordringlich aus Rücksichtnahme. Denn das, was durch diese mageren Zeilen überdeutlich hervorschimmert ist, dass Dr. Schäfer wusste, was auf Deutschland und damit auch auf Hessen zukommen wird.

Ein Hühne und Erfolgreicher, wie Dr. Schäfer, wirft sich nicht vor den Zug, weil er die „Erwartungen der Bevölkerung“ nicht erfüllen kann. Jemand mit einem solch zarten Naturell käme in der Politik keinen Millimeter weit.

Nein, es ist sehr wahrscheinlich davon auszugehen, dass Herr Dr. Schäfer wusste, was kommt und dass es sehr, sehr übel wird. Welcher Aspekt von Not, Verzweiflung und Zusammenbruch, ist dabei zweitrangig. Da mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Genau das sollen wir aber nicht. Wir sollen immer noch davon ausgehen, dass nach Corona alles wieder ganz normal ist und die Welt wieder heile. Offensichtlich will man schlafende Hunde nicht wecken. Denn noch schnarcht der deutsche Michel und träumt vom ganz normalen Leben. Wenn das, was auf uns alle zukommt so ist, dass selbst ein Mann, wie Dr. Schäfer sich lieber vom Zug überfahren lässt, dann könnte der Michel ja doch wach werden. Deshalb musste die FAZ diesen Passus ziemlich subito wieder entfernen.

So etwas nennt man Zensur.

Und wenn eine Zeitung Passagen aus dem Abschiedsbrief zitiert, dann ist das (laut hessischer Landesregierung) eine Verschwörungstheorie und der FAZ „unwürdig“.