Niki Vogt auf Telegram folgen
von Niki Vogt
Eltern wissen ein Lied davon zu singen: Sobald ihr Kind, meistens Mädchen im Teenageralter, ihren eigenen Instagram-Account aufmachen, geht das Drama los. Dort sehen die Mädchen in diesem stark foto-lastigen und textarmen sozialen Medium, wie die Stars und Sternchen, aber auch ganz normale junge Frauen und Mädchen allesamt gertenschlank, durchtrainiert, makelloser Teint, perfektes Make-Up und schicke Klamotten, mehr oder weniger angezogen, immer aber in selbstbewussten, sexy Posen reihenweise die Seiten füllen. Und dann sehen sie in den Spiegel, und das ist der Anfang ihrer Essstörungen, ihres Fitnesswahns und stundenlangem Feilen an ihrem Aussehen, an Körperformen, Haaren und Gesicht. Nicht wenige werden magersüchtig, sogar Suizidgedanken sind häufig.
Eine Anhörung im Kongress. Eine schlanke Blondine, Enddreißigerin, sitzt vor dem Mikrofon, vor ihr nur wenige Blätter als Notizen. Ruhig und sachlich und auf den Punkt beantwortet sie die Fragen der Senatoren. Es ist ein schwarzer Tag für Mark Zuckerberg, der mit seinem sozialen Netzwerk „Facebook“ und dem Fotoportal „Instagram“ steinreich geworden ist. Nicht nur, dass seine eigenen Techniker vor Kurzem das gesamte Netzwerk in die Grütze gefahren haben und Stunde um Stunde auf beiden Plattformen gar nichts mehr ging. Die Kundschaft war sauer, und der Verlust der Werbeeinnahmen war astronomisch. Machte aber auch gleichzeitig klar, wie viel Profit Facebook und Instagram mal so eben in ein paar Stunden einfährt.
Jetzt steht Herr Zuckerberg auch noch unter viel gefährlicherem Beschuss: Frances Haugen ist die Blondine, die etwa zwei Jahre bei Facebook arbeitete und nun darüber auspackt, was sie da so erlebt und beobachtet hat. Facebook steht seit langen in der allgemeinen Kritik, aber Frances Haugen kann detailliert von internen Abläufen berichten und fordert den Kongress auf, einzuschreiten. Ihr Appell, dass Facebook den Profit über die Menschen stellt, erreicht ausnahmsweise einmal die gemeinsame Unterstützung der Demokraten und der Republikaner. Es sieht ganz danach aus, dass die Aussagen der jungen Frau Herrn Zuckerberg in Schwierigkeiten bringen könnten.
Einerseits ist es ja zu begrüßen, dass Facebook und Instagram in ihren übelsten Auswüchsen gebremst werden. Andererseits wissen wir: Hat sich die Politik einmal eines so mächtigen Einflussnehmers wie Facebook und Instagram bemächtigt, wird immer mehr und mehr geregelt, zensiert, befohlen, benutzt. Es könnte leider auch das Einfallstor für Bevormundung, Überwachung (noch mehr als jetzt schon) und Zensiererei werden.
Andererseits schockieren die Einblicke, die Frances Haugen gewährt, schon ziemlich: Der Druck, dem Teenager ausgesetzt sind, um in Punkto Aussehen und Geltung, Likes und Dislikes perfekte Aufführungen zu liefern ist so groß, dass manche jungen Menschen ihre Gesundheit dafür ruinieren. Sie richten den Hauptaugenmerk ihres jungen Lebens auf ihre Präsentation und ihren Erfolg bei dem gnadenlosen Instagram und vernachlässigen vollkommen viel wichtigere Dinge des Lebens. Besonders Mädchen, so Frau Haugen, entwickeln aufgrund der Instagram-Ideal-Typen eine handfeste Essstörung. Junge Männer überbieten sich im Muckis-Zeigen, dominante Posen einnehmen oder Kampfsportfotos posten. Sie sind aber in der Unterzahl im Vergleich mit den Mädchen auf dem Instagram-Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Dabei ist ja bekannt, dass die großen „Vorbilder“, die gefeierten „Influencer“ ihre Bilder mit einer auf Instagram herunterzuladenden Retuschier-Software, dem Instagram-Filter, ihre Bilder oft extrem aufhübschen. Da verschwinden Speckröllchen. Pickel, und Unebenheiten. Wespentaillen und knackige Popos lassen Barbiepuppen wie Mutters dicke Putzfrau daneben aussehen. Haare werden glänzend, wellig und füllig, wo eigentlich zerbleichte Stroh-Nester zauseln. Augen werden puppenhaft größer, Wimpern länger, Lippen voller. Der Teint makellos, wo vorher Pubertätspickel blühten. Die beiden Bilder unten sind von derselben Dame. Das „gefilterte“ in den Fotos links, rechts die grausame Wahrheit.
Es gibt Videos auf Youtube, die aufdecken, wie die Stars oder berühmten „Influencer“ ihre Fotos fälschen, einschließlich der schon abstrusen Übertreibungen. Das ist in dem Video (unten) auch bei Justin Biber gut zu sehen. Er hat ordentlich Pubertätsakne, aber seine Fotos sehen ganz anders aus – und die „normalen Jungs“ fühlen sich wie miefende Mülleimer.
Hier das Video
Bisweilen auch mit sehr eigenwilligem Humor gewürzt, wenn man Jesus als Erfinder des Instagram -Filters vorstellt:
Kein Wunder, dass Jugendliche Minderwertigkeitsprobleme bekommen, wenn sie übersexualisierte, perfekte Schaufensterpuppen-Menschen sehen. Jedes Dritte Mädchen im Teenageralter hat durch Instagram ein schlechteres „Körperbild“ von sich selbst, haben zwei Studien festgestellt, die von Facebook selbst in Auftrag gegeben wurden.
„Darin wurden Nutzerinnen und Nutzer unter anderem dazu befragt, wie sie sich fühlten und welchen Einfluss Instagram auf ihr Befinden habe. ‚Wiederholt fanden die Forscher des Unternehmens heraus, dass Instagram für einen beträchtlichen Prozentsatz von jungen Nutzern schädlich ist, insbesondere für Mädchen im Teenageralter‘, schreiben die Journalisten. Sechs Prozent der US-Nutzer hätten aufgrund der Plattform sogar schon einmal Suizidgedanken gehegt. Und generell würden viele Nutzerinnen Instagram als Grund nennen, weshalb es ihnen schlecht ginge und sie sich unattraktiv fühlten.“
Frances Haugen spricht in der Kongress-Anhörung von den hausinternen Studien, in der klar erkennbar werde, sagt sie, dass diese falschen Schönheitsideale Gift für die jungen Leute sind. Dass sie sich krank hungern, krank trainieren, sich für ihre Körper schämen, schwere psychische und physische Schäden davontragen, massive Komplexe bis zur sozialen Dysfunktion entwickeln. Aber Herr Zuckerberg, den sie persönlich dafür verantwortlich macht, weil er wider besseres Wissen diesen Psycho-Krieg gegen junge Frauen laufen lässt, stelle eben den Profit über die Menschen.
Das nächste ist die Angst vor den Kommentaren. Wer schon ein angeschlagenes Selbstbewusstsein hat, kann sich hier, auf diesen Plattformen den Blattschuss bei gehässigen herabsetzenden Kommentaren holen, wenn er oder sie so erscheint, wie Gott ihn oder sie eben schuf. Wer kennt denn schon die realen Fotos der perfekten Celebrities?
Eine weitere Information der Whistleblowerin aus dem Herzen des Zuckerberg-Imperiums lässt aufhorchen: Frau Haugen spricht ganz deutlich an, dass der „Newsfeed“, also die Nachrichten, die Facebook und Instagram als allererstes zeigen, wenn man sich dort einloggt. Solche Meldungen machen auch Yahoo oder Web.de, sobald man auf die Startseiten geht. Nur sind das die Nachrichten aus dem Mainstream und für alle gleich, die auf die Startseite aufploppen, während Facebook offenbar einen ganz eigenen Algorithmus hat, welche Nachrichten für welchen Nutzer erscheinen … und welche nicht. Facebook verstecke ganz gezielt „wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit“ beschuldigt die ehemalige Mitarbeiterin den Social-Media-Giganten. „Das Problem ist das Design des Algorithmus“, sagt sie – und dass nur Facebook wisse, wie und nach welchen Kriterien die Feeds der Nutzer persönlich zugeschnitten würden.
Erinnert sich jemand an den Cambridge Analytica-Skandal? Die britische Datenschutzbehörde ICO hat ihre Ermittlungen in diesem Fall abgeschlossen. Der Fall bleibt eine der wichtigsten Enthüllungsgeschichten des Jahrzehnts und Facebook steckt mittendrin. Die Marketingfirma Cambridge Analytica hatte die Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzern benutzt und für psychologisches Profiling eingesetzt. Die mit ihnen irgendwie – auch über mehrere Stationen – verbundenen Nutzer auf Facebook erhielten dann passende Informationen und Nachrichten, neue Vernetzungen mit Trump-Unterstützern usw., um dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen. Orchestriert hatte das Trumps Mann für solche „Dark Operations“, Steve Bannon. Die Ermittlungen ergaben zwar, dass der Effekt dieser Maggelei mit den Nutzerdaten bei weitem nicht so groß war, wie es sich anfangs darstellte, als die ganze Sache aufflog. Dennoch ist es immer noch ein von den Datenstrukturen in Facebook ermöglichter Skandal:
„Der zu dem Zeitpunkt noch bei der Universität Cambridge angestellte Forscher Alexandr Kogan ergaunerte den Datenschatz für Cambridge Analytica, indem er Facebook vorspielte, sie für wissenschaftliche Zwecke zu sammeln. Er hatte eine App für die Drittanbieterplattform in dem Sozialen Netzwerk entwickelt. Über das Persönlichkeitsquiz „thisisyourdigitalife“ konnte er nicht nur die Daten der Nutzer:innen, sondern auch all ihrer Facebook-Kontakte sammeln, ohne das diese es auch nur mitbekommen hätten. (…)
Nicht nur die von Kogan berechneten psychographischen Profile der Facebook-Nutzerinnen gehörten dazu, sondern auch sämtliche Likes und die Social Graphs der Betroffenen, also die Abbildung all ihrer sozialen Beziehungen in dem Netzwerk.
Dass Facebook dieses Tor zu den Daten seiner Nutzer:innen für App-Entwickler:innen überhaupt so weit aufgelassen hatte, ist ein zentrales Element des Skandals. Schließlich hatte der Konzern etliche interne Warnungen über einen florierenden Schwarzmarkt mit den Nutzer:innendaten viel zu lange ignoriert und Drittanbieter auf seiner Plattform überhaupt nicht kontrolliert. Bis heute hat Mark Zuckerberg sein Versprechen an den US-Senat nicht eingelöst, weitere Datenabflüsse an andere App-Entwickler:innen transparent aufzuarbeitenn. Und bis heute weigert sich Facebook, anders als Twitter und Google, Microtargeting im politischen Kontext einzuschränken.“
Eine so ausgebuffte Beeinflussung, die für die Nutzer überhaupt nicht zu erkennen ist, ist genauso wirksam wie amoralisch. Facebook hat nichts dazugelernt und will es auch gar nicht.