Niki Vogt auf Telegram folgen
von Kerstin Chavent
Aus der Stille heraus erwächst eine Kraft, die das Neue zum Leben erweckt.
In unruhigen und chaotischen Zeiten wie diesen schöpfen wir Kraft, wenn wir in den Rückzug gehen. In der Zeit zwischen den Jahren bleibt die Sonne auf ihrem tiefsten Stand, bevor die Tage wieder länger werden. Machen wir es wie unsere Ahnen: Tun wir nichts. Halten wir inne. Der Samen ist in der Erde. Die Sonne wird den harten Boden auftauen und die Saat zum Leben erwecken. Zeit, das Vertrauen zu pflegen und Energie zu sammeln für das, was uns bevorsteht.
Bald ist er erreicht, der tiefste Punkt, der Gipfel des Monströsen. Fast ist es soweit. Alle Zeichen stehen auf Sturm. Vor unseren Augen zerbirst die alte Welt. An allen Fronten wird gekämpft und zum Krieg aufgerufen: gegen Viren und das Klima, gegen Russland, China und die Terroristen, die gegen Verletzungen der Menschenrechte im eigenen Land protestieren.
Alle großen Medien schießen in dieselbe Richtung: Ungeimpfte sind der Abschaum der Gesellschaft. Sie sparen nicht mit Schlagzeilen, die die Massen immer tiefer in Angst und Spaltung treiben. „Wer kann gerettet werden, für wen gibt es kein Bett mehr?“ titelt der Spiegel. Schuld an der Triage sind die, die ihren Körper intakt halten wollen, die Unverantwortlichen, Asozialen, Kriminellen. „Maskenverweigerer soll Mann zusammengeschlagen haben.“ „Mutmaßlicher Maskenverweigerer überfährt beinahe Tankwart.“ „Mutmaßlicher Maskenverweigerer erschießt zwei Personen.“ Da weiß man, wo die Guten stehen und wo die Bösen.
Die Süddeutsche Zeitung zählt „77 Betten, 78 Patienten“ und stigmatisiert „Die Enthemmten“ und den „Hass der Pandemieleugner“. „Sind die Ungeimpften an allem schuld?“ fragt die Zeit und die FAZ quält ihre Leser mit Überschriften wie „Als ob jeder Atemzug der letzte wäre.“ Von „Tödlicher Ablehnung“ titelt sie weiter, vom „Angriff auf Impf-Ärzte“ und der „Solidarität der Geimpften“. In der Rubrik „Wahrheit“ bereitet die taz auf ein „Weihnachten ohne Geschmack“ vor und verlässt sich auf die Soldaten „von der schnellen Einspritztruppe“.
Vor dem Hintergrund dieser Schlagzeilen geht der Rubikon in die Weihnachtspause. Während dieser Zeit ist unser Protest unsichtbar, unser Engagement, Mut zu machen und Visionen zu entwickeln für eine bessere Welt. Die Äste sind kahl, die Felder öde. Bis tief in die Erde hat sich das Leben zurückgezogen.
Es ist nichts zu sehen. Und doch schlummern wahre Kraftwerke unter der Oberfläche, die nur darauf warten, dass der rechte Augenblick kommt.
Manche Samen ruhen viele Jahre in der Erde, bevor sie in nur ein paar Wochen meterhoch in die Höhe schießen. Manche sind so winzig, dass man sie kaum sehen kann. Doch sie sind da. Sie wissen, dass die Sonne sie zum Leben erwecken wird. Beseelt von dem Vertrauen, dass ihre Zeit naht, halten sie sich bereit.
Stille Nacht
Was geschieht, wenn wir es wie die Samenkörner machen? Wenn wir uns eine kleine Weile zurückziehen, um uns zu schützen, und den Anfeindungen einen Moment keine Projektionsfläche bieten? Wenn wir die Anschuldigungen ins Leere laufen lassen und die Hetzenden mit ihrem eigenen Hass konfrontieren?
Wir können niemanden daran hindern, sich so zu verhalten, wie er sich verhalten will. Es nützt nichts, gegen die Meinung anderer Menschen ins Feld zu ziehen. Wir können nur etwas ausrichten, wenn wir in uns klar sind und unser Gegenüber seinen eigenen Ungereimtheiten überlassen. Sollen die Menschen, die das ständige Boostern für eine gute Sache halten und sich in 2G-Gemeinschaften wohlfühlen, eine Weile unter sich bleiben: Wie auf dem Kreuzfahrtschiff Artania, auf dem Corona ausbrach, obwohl nur Geimpfte an Bord waren, wird von ganz allein immer deutlicher werden, dass das Problem nicht die Ungeimpften sind.
Es kann sinnvoll sein, ganz leise zu werden. Wahrheit braucht Stille, in der sie sich entfalten kann. Weihnachten ist kein Fest der großen Worte. Ein Neugeborenes liegt da in der Krippe, und es spricht nicht. Es strahlt aus sich heraus. Auch der Gekreuzigte hat mit keinem Wort protestiert. Niemanden hat er beschuldigt oder angeklagt, niemanden verflucht. Aus seiner Stille heraus erwuchs eine Botschaft, die 2.000 Jahre später immer noch lebendig ist.
So dürfen auch wir uns einen Augenblick Ruhe gönnen. Es wurde alles gesagt. Wer sehen will, der kann sehen. Wir können das Pferd zur Quelle führen. Trinken muss es allein.
Jetzt ist der Moment, das Vertrauen der Raupe zu entwickeln, die weiß, dass sie ein Schmetterling werden wird. Bleiben wir noch eine kleine Weile in unserem Kokon. Gehen wir in unsere Tiefe und holen wir aus ihr heraus, was wir für die nächste Strecke brauchen.
Es ist für uns eine Zeit angekommen
Bedauern wir es nicht, nicht im selben Kino wie die meisten zu sitzen, im selben Theater, in derselben Bar. Klagen wir nicht darüber, draußen bleiben zu müssen. Schließen wir uns mit denen zusammen, die auch draußen stehen und uns ohne Maske und Verkleidung anlächeln. Machen wir im Privaten, was uns der öffentliche Raum verwehrt. Organisieren wir uns und leben wir im Kleinen, was wir im Großen jetzt nicht leben können.
Lassen wir die Kultur in unsere Häuser einziehen. Bekochen wir uns gegenseitig und machen wir unser eigenes Kino. Finden wir uns in unseren Herzensfamilien zusammen. Feiern wir Weihnachten so, wie wir es uns immer gewünscht haben, mit Menschen, die uns nicht verurteilen. Seien wir ausgelassen und frei. Wenn dann das alte Jahr zu Ende geht, nehmen wir nicht nur unsere neuen Freunde in die Arme, sondern auch die Zuversicht mit in das neue Jahr.
Die Hoffnung, so hieß es in der römischen Antike, stirbt zuletzt. Doch sie muss nicht sterben. Das Kind ist da. Der Samen ist im Boden. Die Saat wird aufgehen. Warten wir nicht weiter vor verschlossenen Türen. Gehen wir dorthin, wo das Singen nicht verboten ist. Kehren wir denen endgültig den Rücken, die in der schweren Zeit bewiesen haben, welch Geistes Kind sie sind. Sie haben nichts, wirklich gar nichts, mit dem Kind in der Krippe zu tun. Lassen wir sie ohne Bedauern hinter uns. Wir haben nichts verloren, außer einer Illusion.
Zünden wir die Kerzen an. Sorgen wir dafür, dass wir genügend im Haus haben, und Streichhölzer dazu. Machen wir es uns gemütlich. Rücken wir zusammen und halten wir uns gegenseitig warm. Erfreuen wir uns daran, nicht alleine zu sein. Wir sind viele! Lesen wir einander vor und singen zusammen die alten Lieder. Vom hohen Himmel ein leuchtendes Schweigen, erfüllt die Herzen mit Seligkeit heißt es in einem Winterlied aus der Schweiz. Sie wird kommen, unsere Zeit. Schenken wir dem Kind unseren Glauben daran.