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von Niki Vogt
Die ganze Welt entsetzt sich wegen des russischen Einmarsches in der Ukraine. Ob dies nun völkerrechtswidrig ist oder nicht, möchte ich hier nicht erörtern. Es ist selbst unter den kompetenten Juristen nicht unumstritten. Was sich aber alles im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg so nach und nach vor unseren Augen entfaltet, hat lang schwärende Gründe und weitreichende Auswirkungen, die man teilweise kaum in den Mainstreammedien findet. Ohne Partei ergreifen zu wollen: So einfach, wie es unsere Mainstreammedien es darstellen, ist es nicht.
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es doch nicht dasselbe
Zum Beispiel hat die Türkei während des Krieges in Syrien 2016 die Gebiete westlich des Euphrats militärisch besetzt und ist seitdem dort. Und zwar nicht, um die dortigen Syrer zu beschützen. Die Syrer werden teilweise aus ihrer Heimat vertrieben. Die Türkei bezeichnet diese Gebiete als „Sicherheitszone“ (Suriye’de Güvenli Bölge). Dort leben aber keine türkischstämmigen Bewohner, die die Türkei schützen müsste (im Gegensatz zu den russischstämmigen Bewohnern in den Donbass-Volksrepubliken). Dort leben Kurden, Araber und Turkmenen.
Aber: Die Türken halten diese Zone auch nach dem Syrienkrieg weiterhin besetzt – und das mit der Rückendeckung der USA. Der damalige EU-Kommissionspräsident, der stets fröhliche Jean-Claude Juncker, forderte im Oktober 2019 die Türkei auf, diese „Militäroffensive“ in der Sicherheitszone zu beenden, Frankreich wollte deswegen eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen lassen. Die syrische Regierung unter Präsident Anwar al Assad hat im August 2019 klar gegen die völkerrechtswidrige Besetzung ihres Territoriums protestiert und erkennt diese Sicherheitsvereinbarung zwischen der Türkei und den USA nicht an – und niemanden interessiert es.
Im Gegenteil: Seit Oktober machen die Türken das, was Russland in Bezug auf den Donbass getan hat. So berichtete das „ArabCenter Washington DC“ im Oktober 2021:
„Türkische Beamte wiederholen weiterhin ihre Warnung , dass eine Militäroperation in Nordsyrien unmittelbar bevorstehen könnte, und beschuldigen sowohl Washington als auch Moskau, ihre Versprechen nicht erfüllt zu haben. Präsident Recep Tayyip Erdoğan behauptete, dass die Türkei im Kampf gegen die von den USA unterstützten kurdischen Milizen einen „viel anderen Weg“ einschlagen werde, was die Kritik an den Vereinigten Staaten nach der Ermordung türkischer Polizisten durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) verschärft.“
Es geht immer um Geopolitik und Macht
Warum? Weil die Türkei ein As im Ärmel hat: Den Bosporus. Das enge Eingangstor zum schwarzen Meer ist eine militärisch-strategisch-geopolitisch sehr wichtige Stelle. Das Riesenland Russland hat hier seinen Zugang zu Mittelmeer. Alles andere muss weit oben am einer ewig langen Nordküste entlang und um Europa oder an Alaska vorbei und um China herum nach Süden geschippert werden – bzw. umgekehrt. Die Türkei als NATO-Partner ist ein wichtiger Posten und weiß mit diesen Pfründen zu wuchern. Die Türkei sperrt den Bosporus jetzt für russische Schiffe. Ein Problem für Russland. Und ein Vorteil für die Türkei: Die Türkei kann jetzt Forderungen stellen. Präsident Erdogan und Putin könnten sich ja auch in dieser Frage verständigen. Die USA werden also verhindern, dass die Besetzung Nordsyriens nochmal zur Sprache kommt – und vielleicht noch andere Gefälligkeiten für die Türkei spendieren.
Auch die Rolle der USA im Kosovo ist der Russlands in der Ukraine nicht unähnlich. Aber die Welt schrie nicht auf. Auch nicht während der nun bald acht Jahre, in denen die Zivilbevölkerung des Donbass nahezu täglich Artilleriefeuer und Raketeneinschlägen in ihren Dörfern und Städten ausgesetzt war. Das war kein Thema für die Medien und Nachrichten. Ein brodelndes Pulverfass und nur eine Frage der Zeit, wann diese, für die großen Machtblöcke und deren geopolitische und militärische Interessen wichtige und umkämpfte Region Donbass in einem Krieg explodieren würde.
Die nächste, lange schon glühende Zündschnur brennt: Taiwan
Die Weigerung des chinesischen Staatschefs Xi Jinping, Wladimir Putins Krieg zu kritisieren, ließ schon ahnen, dass Peking die Invasion Russlands in die Ukraine genau beobachtet und seinen lang gehegten Pläne und Ankündigungen, die chinesische Republik Taiwan „heimzuholen“ in die Volksrepublik China, ob die Taiwaner wollen oder nicht. Sie wollen nicht.
Nun wird ein bisschen gezündelt. China startet militärische Manöver um Taiwan herum. am gestrigen Donnerstag musste die taiwanesische Luftwaffe aufsteigen und neun chinesische Militärflugzeuge aus seiner Luftverteidigungszone zu entfernen. Gleichzeitig drangen am gestrigen Donnerstag Kriegsschiffe der Volksrepublik China in die Hoheitsgewässer Taiwans vor. Und zwar zeitgleich zum Einmarsch der Russen in der Ukraine.
Chinese warships entered "Taiwan's territorial" waters
— ASB News / MILITARY〽️ (@ASBMilitary) February 24, 2022
Der Vertreter Taiwans in Deutschland, Jhy-Wey Shieh, warnte vor einer militärischen Aktion Chinas. „Falls Russland in die Ukraine einmarschiert, müssen sich NATO, UNO und USA damit beschäftigen. Das wäre eine Lücke für China, einen Blitzkrieg vom Zaun zu brechen“, betonte Shieh gegenüber dem „Deutschlandfunk“.
Der Außenminister Taiwans, Josef Wu, warnte bereits Anfang Februar vor einem drohenden Krieg im Indopazifik. Im ZDF-Interview warf er China vor, eine militärische Eskalation zu provozieren:
„Es ist offensichtlich, dass China Taiwan irgendwann angreifen möchte. Darauf müssen wir vorbereitet sein. (…) Wir zweifeln nicht an Amerikas eindeutigem Bekenntnis zu Taiwan. Natürlich hoffen wir, dass die USA Taiwan auch weiterhin mit Waffen, Ausbildung und Dienstleistungen versorgen und den Informationsaustausch auf höchster Ebene pflegen, damit Taiwan in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen.“
China will mit diesen regelmäßigen Militärübungen den Fortschritt seiner militärischen Fähigkeiten demonstrieren.
„Ein Konflikt, der aus Versehen ausgelöst wird, ist daher jederzeit möglich. Zum Beispiel, wenn China weiterhin über Taiwans Luftverteidigungszone fliegt, oder sich plötzlich zwei Armeen gegenüberstehen.“
Die NATO könnte diesen Konflikt nicht gewinnen
Sollte China wirklich eine Invasion in Taiwan beabsichtigen, stünden die Chancen nicht schlecht für das Riesenreich. Der „Westen“ hat kaum die Kraft, einen echten Krieg mit Russland zu bestehen. Wir sehen, dass die USA sich wahrscheinlich hüten werden, Russland direkt militärisch anzugreifen und wohl auch umgekehrt. Die europäischen Armeen sind nicht in der Lage dazu. Das größte LAnd, Deutschland, erfuhr aus dem Munde seines Generalleutnants Alfons Mais, dass die Bundeswehr „Blank“ sei.
Die Seite „Euraktiv“ schreibt illusionslos:
„Die Bundeswehr wurde in der deutschen Politik lange Zeit vernachlässigt. 2011 wurde die Wehrpflicht abgeschafft, und der Posten des Verteidigungsministers galt weithin als Sackgasse für politische Karrieren, was der Bundeswehr wenig Möglichkeiten ließ. „Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da. Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des [NATO]-Bündnisses anbieten können sind extrem limitiert“, sagte der Generalleutnant und 21. Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, auf LinkedIn.“
Die Bundeswehr verfüge nicht einmal über dicke Jacken und Unterwäsche, resümierte der oberste Heeressoldat. Könnte die Bundeswehr einem Angriff auf die NATO ÜBERHAUPT etwas entgegensetzen? „Nein“, sagt Generalleutnant Mais.
Selbst, wenn es in den anderen europäischen Ländern etwas besser aussehen sollte: Eine Chance, den Russen überlegen zu sein, ist nicht zu sehen. Ob es außer Tschetschenien und Weißrussland auch in anderen Ländern, wie Abchasien, Südossetien, Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan, Georgien und Armenien, in denen viele Russischstämmige leben noch Unterstützer geben könnte, ist unklar.
Das südchinesische Meer könnte für die USA wichtiger sein, als Europa
Kommt aber noch ein Konflikt mit China dazu, kann der „Westen“ da nicht mehr mithalten. Die USA werden dann wahrscheinlich alle Kräfte auf das südchinesische Meer konzentrieren. Dort gilt es nicht nur, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt unter Kontrolle zu halten, sondern auch die US-amerikanische Einflußsphäre auf die Anrainerländer zu halten, die im Zweifelsfall eher gegen China Stellung beziehen würden. Taiwan ist eines davon, aber auch Japan, die Philippinen, Malaysia, Brunei und Südkorea. Auch hier gibt es viele umstrittene Gebiete.
Ein großer Player ist direkt daneben: Indien. Das dicht besiedelte Riesenland steht sich gut mit Russland und übernimmt teilweise Geldströme und Transporte von Waren nach und aus Russland. Das Verhältnis zu China ist wegen der Himalaya-Grenzkonflikte bisweilen angespannt. Von beiden Seiten allerdings wird intensiv an einer Verständigung gearbeitet. Der ehemalige indische Botschafter in China, T.C.A. Rangachari beschreibt es so: „Man will alles vermeiden, was Probleme verursachen und den generellen Tenor der Beziehungen beeinflussen könnte.“
„Wer das Südchinesische Meer kontrolliert, und im Anschluss daran die Straße von Taiwan, der kontrolliert ein Drittel des Welthandels. Er läuft von der Straße von Malakka zu den Häfen in Japan und Südkorea.“
China baut hier seit Jahren schon künstliche Inseln, auf denen es Militärstützpunkte installiert. Der Konfliktherd „Südchinesisches Meer“ ist ein Großgebiet. Die USA betrachten die Region laut der Einschätzung der FAZ „als erstes Bollwerk gegenüber Pekings Machtstreben“ und haben Verträge mit einzelnen südostasiatischen Staaten über militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Kleinere Länder, insbesondere die Philippinen sehen die Amerikaner als Garant ihrer Interessen und Ansprüche. 2012 kündigten die USA an, 60 Prozent ihrer Marine in den Pazifik zu verlegen. China hat seit dieser Zeit enorm aufgerüstet und baut dort Start-und Landebahnen, Betonanlagen usw. – 2015 bereits sahen US-Militärs die Kontrolle in chinesische Hände gleitend übergehen:
„Wenn diese Aktivitäten in diesem Tempo weitergehen, erlauben sie China die de facto Kontrolle der wichtigsten Handelsroute der Welt. Sie könnten dort in Zukunft Langstrecken-Radar installieren und mehr Kriegsschiffe, sie könnten Kampfflugzeuge einsetzen um irgendwann mögliche Luftverteidigungszonen durchzusetzen.“
Peking sieht die Region sowieso als chinesisches Territorium. Seine Chengdu J-20 Kampfbomber haben Tarnkappeneigenschaften, eine längere Flugzeit und eine größere Reichweite, als die amerikanischen, die auf Flugzeugträgern oder befreundetem Territorium auftanken müssten, was lange Wege sein könnten. Oder über dem Meer in der Luft aufgetankt werden. Die chinesischen Kampfjets sind bewaffnet mit einer Air-to-Air PL-15 Missile, die 2017 schon in den Führungsetagen der US-Militärs für Ratlosigkeit sorgte. Bisher, so ein Bericht aus dem Dezember 2021, hat die beste Air-to-Air-Missile der Amerikaner der chinesischen PL-15 das Wasser noch nicht reichen können. Die AIM 260, die der PL-15 ebenbürtig werden soll, ist noch in der Entwicklung.
Einem RAND-Briefing aus dem August 2008 zufolge müssten drei bis vier Auftankflugzeuge pro Stunde aufsteigen, um 2,6 Millionen Gallonen Kerosin an die Kampfjets zu liefern. Das sei auch Peking bekannt. Die Chengdu J-20 Jets brauchen nur aus sicherer Entfernung die schweren und unbeholfenen Tankflugzeuge mit der weitreichenden PL-15 wie Tontauben aus der Luft zu schießen. Die heutigen Verhältnisse Die USA wären wahrscheinlich nicht in der Lage, Chinas Anspruch zurückzuweisen, wenn es um militärische Kampfkraft geht.
Einen militärischen Konflikt mit Russland in Europa plus mit China um Taiwan – und damit auch um die Kontrolle im Südchinesischen Meer würde die USA sehr wahrscheinlich nicht gewinnen können. Eine atomare Auseinandersetzung würden sie auch nicht überstehen. China ist die große Unbekannte in der Rechnung des Ukraine-Krieges.