Neue staatliche Ausspionierung im Netz kommt: „Digitale Gewalt“ führt zur Account-Löschung und Strafen

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Symbolbild: pixabay

von Niki Vogt

In den sozialem Medien wird viel gepöbelt. Letztendlich ist es, wie in einer Dorfkneipe – und die Welt sollte ja ein digitales Dorf werden. Aber der Mensch wird kein anderer dadurch. Und Anonymität verleitet dazu, straflos und unerkannt Grenzen zu überschreiten. Gut, es braucht vielleicht Möglichkeiten wenn jemand eklatant das Persönlichkeitsrecht verletzt oder eine handfeste Beleidigung oder Verleumdung publiziert. Doch da gibt es bereits Möglichkeiten für den Geschädigten diese Gesetzesverstöße anzuzeigen oder Schmerzensgeld einzuklagen. Das neue „Gesetz gegen digitale Gewalt“ stinkt aber hundert Meter gegen den Wind nach Staatsspitzelei. Denn das, was hier schon als „Digitale Gewalt“ für eine Löschung des sozialen Accounts reichen kann, geht zu weit und könnte jedem widerfahren. Um die dazu nötigen Verfahren umzusetzen, erfordert das vom Plattform-Anbieter umfangreiche Speicher- und Identifikationspflichten, die der Staat dann herausfordern kann. Das steht den Rechten der Bürger auf ihre Privatsphäre diametral entgegen.

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Bisher wurden ja jedesmal tausend Eide geschworen, man werde natürlich niemals gegen das Verdikt der Verfassungsrichter verstoßen und mit der Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig die Privatsphäre der Bürger ausforschen. Wer aber Hassrede oder „Digitale Gewalt“ auch von anonymen Accounts scharf verfolgen will, muss die Daten der dahinterstehenden Identität des Verfassers vom Provider herausfordern. Und das ist eben doch die verbotene Vorratsdatenspeicherung durch’s Hintertürchen.

Die Eckpunkte der von Herrn Justizminister Marco Buschmann anvisierten Löschung von „Hetz-Accounts“ liegen nun vor. Der Minister will einen zivilrechtlichen Anspruch schaffen, mittels dessen er Plattformbetreiber, Social Media Provider und Telekomfirmen zum Sperren von Accounts verpflichten kann. Die Bedingungen dafür sind: Das „Opfer“ der Hassrede muss in ihren Persönlichkeitsrechten schwerwiegend verletzt worden sein. Dann aber darf die bloße Löschung eines beleidigenden Posts nicht genügen. Und auch dann muss es ein Wiederholungsfall sein.

Das Anzeigen und Verklagen war bisher schon möglich, allerdings musste vor Gericht erst festgestellt werden, ob das Persönlichkeitsrecht tatsächlich verletzt wurde. Dabei ist nicht maßgeblich, ob die getane Behauptung wahr ist oder nicht, es muss die private, persönliche Sphäre in die Öffentlichkeit gezerrt worden sein. Es braucht noch nicht einmal eine Beleidigung zu sein. Schon eine spezifisch private Information, die keinen Außenstehenden etwas angeht, eben etwas sehr persönliches ist, reicht aus. Das Persönlichkeitsrecht ist ein scharfes Schwert, da drohen auch hohe Schmerzensgelder.

Die üble Nachrede und Beleidigung ist dagegen eine Straftat. Der Kläger wird zwar meistens auf den Weg der Privatklage verwiesen, weil die Gerichte überlastet sind. Aber wenn vor Gericht dem Kläger Recht zugesprochen wird, dann ist damit auch gleich die Strafbarkeit verbunden und ebenfalls ein zivilprozesslich festzulegendes Schmerzensgeld. Das ist eigentlich ausreichend, um Ruf und Privatsphäre eines Opfers zu schützen und die Verletzung derselben zu ahnden. Da braucht es keine staatlichen Eingriffe. Da geht wahrscheinlich um etwas anderes.

Umfragen enthüllen, dass die deutschen Bürger ein hohes Maß an Misstrauen gegen ihre Regierung entwickelt haben. Das wiederum lässt die Politiker ebenfalls misstrauisch und ängstlich werden. Das Bauprojekt, einen Graben und Zaun um den Deutschen Reichstag zu ziehen, um sich – wie in einer Festung – vor dem Feind „Bürger“ zu schützen, reicht längst nicht mehr aus. Das Bedürfnis im Berliner Regierungsviertel nach Sicherheit vor dem zornigen Bürger wächst mit jeder neuen Zumutung, die man diesem antut. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft sehen, dass der Arm dieses Gesetzes weit reicht, wenn „Querdenker, Schwurbler, Rechte und Regierungskritiker“ sich erdreisten, ihre Nicht-Zustimmung zur Politik nicht fein ziseliert genug zu äußern.

Aber nein, nicht doch, Minister Buschmann betont auffallend oft, dass durch diese „Schutzmaßnahmen“ die gesellschaftliche Debatte in den sozialen Netzwerken nicht eingeschränkt werden soll. „Was heute geäußert werden darf, darf auch künftig geäußert werden“, wiegelt der Justizminister ab. Sicher. Eine Weile lang. Auch anonyme Äußerungen seien weiterhin gesetzlich zulässig. Es gehe nur um eine bessere Durchsetzung der Rechte der Hassbetroffenen (wie bereits dargelegt, war das bisher auch schon gegeben). Der Schutz vor „digitaler Gewalt“ sei keine Gefahr für den freien Diskurs, sondern schütze ihn. Genau. Überwachung ist Schutz, Freiheit ist kriminell. Es ist Frau Innenminister Nancy Faeser, die immer wieder versucht, die IP-Adressen und ihre Zuordnung für alle Deutschen gegen das Verdikt des Bundesverfassungsgerichts auf Vorrat zu speichern. Über dies gibt es schon ein Gesetz, das auch anonyme „Hassrede“ bekämpft, ganz ohne staatliche Einmischung:

Netzpolitik.org informiert:

Deutschland hat bereits ein Gesetz gegen Hasskriminalität im Internet, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Seit 2017 müssen Anbieter sozialer Netzwerke stärker gegen Inhalte vorgehen, die strafbar sind. Auf EU-Ebene gilt seit einem Jahr das Gesetz über digitale Dienste (DSA), das ähnliche Regeln beinhaltet und das NetzDG in Teilen ablösen wird. (…) Das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt zielt aber nicht nur auf digitale Gewalttäter. Es regelt „alle Fälle einer rechtswidrigen Verletzung absoluter Rechte“. Unter absolute Rechte fallen „sonstige Rechte“, unter anderem auch Immaterialgüterrechte wie „geistiges Eigentum“. Mit digitaler Gewalt hat das nichts zu tun. Wir haben das Bundesjustizministerium gefragt, ob das Gesetz gegen digitale Gewalt gegen alle oder nur gegen manche Verletzungen „absoluter Rechte“ vorgehen will und ob darunter auch Immaterialgüterrechte fallen. Eine Sprecherin bestätigt, dass sich das Auskunftsverfahren auf „alle Fälle einer rechtswidrigen Verletzung absoluter Rechte im Sinne von § 823 Absatz 1 BGB erstrecken“ soll. „Das betrifft auch Immaterialgüterrechte“ wie Urheberrechtsverletzungen. (…) Das Ministerium nennt selbst als Beispiel eine Restaurantkritik mit „wahrheitswidrigem Nutzerkommentar“. Denn solche Kommentare können das Geschäft der Betroffenen schädigen. Auch das hat mit digitaler Gewalt nichts zu tun.

Essen ist bekanntlich Geschmackssache. Wenn eine Restaurantkritik schon „Digitale Gewalt“ ist, dann ist der Restauranttester Michelin eine kriminelle Vereinigung. Da kommt was auf uns zu.

Zwar müssen die dingfest gemachten „Hetzer“ vorher über den Antrag der Accountsperrung durch den Provider informiert werden und eine Gelegenheit zur Stellungnahme bekommt der Delinquent auch. Offenbar schwant dem Justizminister, dass solche Sperr-Anträge missbraucht werden könnten, um legitime Kritik unmöglich zu machen. Und: Die Sperrung soll nur „für einen angemessenen Zeitraum“ gelten. Das kennen wir doch schon von Youtube? Und genau wie dort, wird der Zaun um die Spielwiese immer enger. Details zur maximalen Sperrzeit waren bisher nicht zu erfahren.

Schon die Tatsache, dass die Möglichkeit der Regierungskritik gar kein Thema zu sein scheint, ist vielsagend. Auch die Beschwichtigungen, das gelte ja nur bei Wiederholungstätern und es sei ja unzumutbar für deren Opfer, dass bisher diese „Hass-Posts“ nur gelöscht werden, der Bösewicht aber weiter hassen darf. Man werde natürlich nur echte Hate-Speech ahnden, aber dann werde der Account im Wiederholungsfall auch gelöscht. Und es sei ja besonders perfide, sich anonym der Hassrede zu bedienen, daher werde man von Staats wegen die Identität vom Provider auch herausfordern. Damit haben wir sie, die lückenlose Überwachung, wer was wann wo gesagt oder gepostet hat. Fängt ein Staat aber so etwas an, wird es nicht wieder abgeschafft und immer weiter ausgebaut, bis es ein riesiges, digitales Schnüffelsystem werden kann, das mit 5G selbst den Inhalt des ans Internet angeschlossenen Kühlschranks kennt. Dagegen wäre die Stasi ein Amateurladen gewesen.

Der CCC (Chaos Computer Club) schreibt:

„Die Gründe gegen eine Vorratsdatenspeicherung sind so vielfältig wie bereits ausgiebig dokumentiert: Um die Ziele des Vorhabens umzusetzen, müssten sensible Informationen über Identität und Nutzungsverhalten von Millionen von Menschen gesammelt werden. Sind diese Daten erst einmal gespeichert, werden sie, wie die Erfahrung lehrt, auch für alle möglichen anderen Zwecke verwendet, sofern sie an den zentralen Datenhalden nicht von Kriminellen abgegriffen oder Innentätern missbraucht werden.

Die Möglichkeit der Profilbildung und die zunehmende Konzentration von persönlichen Informationen in den Händen weniger Unternehmen bergen ohnehin schon erhebliche Risiken für die informationelle Selbstbestimmung der Bevölkerung. Könnten diese Daten dann mit eindeutigen Identifikationsdaten kombiniert werden, läge ein weiteres Werkzeug für eine Überwachungsgesellschaft bereit.“

Natürlich kann der einigermaßen Kundige dieser Ausspionierung doch entgehen. Man kann leicht per VPN (Virtual Private Network) und einem Aliasnamen sich in einen ausländischen Server des VPN-Providers einwählen und ist nicht auffindbar. Das ist ja immer die nächste Stufe bei solchen staatlichen Ausforschungen um die „Systemfeinde“ dingfest zu machen und auszuschalten. Je mehr der Staat aufrüstet, umso mehr Bürger weichen dem aus und bilden Gegenstrategien. Die Regierung kann so ein Wettrennen letztendlich nicht gewinnen.

Der Messenger „Threema“ signalisiert schon im Vorfeld, dass man nicht bereit sei, die Privatsphäre seiner Nutzer preiszugeben. Auch der Messenger „Signal“ kündigt an, keine Daten seiner User herauszugeben. Schon deshalb, weil sie keine sammeln, daher keine haben und daher auch keine herausgeben können. Meredith Whittaker ist Präsidentin von Signal und sagt:

„Wir sammeln keine Daten darüber, was die Leute sagen, wer mit wem spricht, wer Signal nutzt oder wie sie es nutzen. Wir haben also keine Daten, die wir herausgeben können. Dies ist der Kern unserer Aufgabe und die einzige Möglichkeit, Datenschutz wirklich zu gewährleisten. Hier wie auch anderswo werden wir unsere Technologie nicht ändern oder Datenschutzgarantien aufweichen.“

Bis zum 26 Mai können Organisationen der „Zivilgesellschaft“ dazu Stellung nehmen. In der zweiten Jahreshälfte soll dann ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden, über den der Bundestag entscheidet.

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