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von Niki Vogt
Es war in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Ich habe noch lange gearbeitet und lag gerade im Bett, wollte mein Handy ausschalten, in dem Moment kam eine Meldung über den Messenger: „Mama, hier ist der Tod!“ Ich war verblüfft, was sollte denn das? und frage zurück. Und dann begann ich zu begreifen, was in Bad Neuenahr/Ahrweiler gerade geschah. Ich war sofort hellwach. Kann ich Euch da rausholen?
„Nein, Mama, zu spät. Das Wasser steht schon zwei Meter hoch und die Autos schwimmen kreuz und quer. Wir sind hier oben gefangen im Haus und ich weiß nicht, wie schlimm es noch werden wird.“
Ich kann nur sagen, es war eine der fürchterlichsten Nächte meines Lebens, weil ich nicht wusste, ob ich am Telefon vielleicht das Sterben meiner Tochter, ihrem Mann und meinen Enkelkindern miterleben würde. Ich habe nur noch gebetet. Gegen vier Uhr ging das Wasser langsam zurück. Am nächsten Tag lud ich mein Auto voll mit massenweise Wasserflaschen, Proviant, Kerzen, Gaskocher, Generator, Wasserfilter, Kurbelradio, Kurbel-Lampen, Brot, Aufschnitt, Dosenessen, Streichhölzer, Desinfektionstücher und Grillkohle für den Balkongrill.
Bad Neuenahr sah teilweise aus, wie im Krieg, Straßen eingebrochen, riesige Krater, umgestürzte Bäume, Autos kreuz und quer gestrandet, wo sie hingeschwommen waren, verkratzt, zerbeult. In der Innenstadt alle Läden und Schaufenster zerstört, teilweise bereits geplündert. (Wie kann man nur so etwas machen?!? Statt anderen zu helfen in so einer Situation, die leidenden Mitmenschen auch noch auszuplündern. Unfassbar.) In einige Geschäfte hatte die Flut Autos hineingeschoben bei einem gleich zwei übereinander. Häuser waren eingestürzt und haben mindestens zwanzig Menschen unter sich begraben und getötet. Es sollen in vielen Häusern noch Menschen verschüttet sein.
Vor dem Haus, wo meine Tochter wohnt, wurde am nächsten Morgen ein Mann befreit, der der Flut im Auto zu entkommen versuchte. Das Wasser schwemmt ihn hierhin und dorthin, bis er vor diesem Haus strandete. Er hatte glücklicherweise die Fenster nicht aufgemacht, so dass er zwar in der Schlammbrühe saß, aber nicht ertrunken ist und in dem Auto überlebte.
Auch heute war ich wieder da. Schon auf dem Weg dorthin passierte ich immer wieder ganze Konvois von THW, Rotem Kreuz, Bundeswehr, Feuerweht, Malteser. Immer wieder Rasten Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn, wenn man wieder jemanden in den Trümmern gefunden hatte, in dem noch Leben war. Viele Einsatzwagen aus Anderen Bundesländern waren dabei.
Alles, so ziemlich alles bis zwei Meter Höhe zum Teil – je nachdem, wie hoch der Wasserstand an dieser Stelle war, ist auch heute immer noch von einer feinen Sandstaub-Schlammschicht bedeckt, die jetzt da, wo sie trocknet in der Sonne, wie dichter, caramelbrauner Puder alles bedeckt. Ein paar zehnjährige Buben fahren mit ihren Rädern vorbei. Sie sind von Kopf bis Fuß im schlammnassen Kleidern, die Arme, das Gesicht, die Räder voller Schlamm, braune Gestalten, wo nur die blanken Augen wirklich zu erkennen sind. Manche Polizeiautos, die Straßen absperren sind wohl schon sein Donnerstag vor Ort. Man erkennt sie nur als Polizeiautos, weil sie blaue Flackerlichter auf dem Dach haben, ansonsten sind sie mit dem caramellbraunen Schlammpuder so bedeckt, dass die Farbe nicht erkennbar ist. Den schöne Park an der Ahr gibt es nicht mehr. Selbst die Bäume, die der Kaiser noch gepflanzt hat, hat die Flut ausgerissen und weggeschwemmt. Es steht keine Brücke mehr. Die mittelalterliche Altstadt ist zerstört.
Die Menschen helfen einander. Alle Hausbewohner packen überall an, helfen sich gegenseitig und den Nachbarn. Bringen den Hilfskräften Kuchen, den jemand besorgt hat, wer kann, kocht für die anderen mit oder grillt etwas. Den alten Mitbewohnern im Haus macht man ihr Kellerabteil auch sauber. Die Flutkatastrophe macht sie alle zu Kameraden und Schicksalsgenossen und alle sehen schlammbraun aus. Am gestrigen Abend gab es kurzzeitig mal Leitungswasser. Nicht sauber, aber man konnte die Schlammkruste abwaschen.
Und nun ist der dritte Tag vorbei: Man kam noch schlechter durch, als vorher, weil natürlich der ganze Müll nach den Aufräumarbeiten am Straßenrand steht und weggebracht werden muss. Überall werden Schäden repariert, Gebäude abgestützt, Keller und Wohnungen leergepumpt, Verletzte geborgen und da kann man nicht durchfahren. Manche Straßen sind auch nicht mehr befahrbar, weil die Straßendecke wegen Unterspülung eingebrochen ist. Es war eine Sucherei, bis ich heute überhaupt bis vor das Haus gekommen bin. Und doch bin ich so unendlich dankbar, dass meine Liebsten noch leben und sogar unverletzt sind.