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Von Daniele Ganser
Kriege entstehen auch durch Feindbilder, die andere als völlig fremde, eigentlich nicht mehr menschliche Wesen diffamieren. Wollen wir den Frieden gewinnen, müssen wir deshalb die Ähnlichkeit und Zusammengehörigkeit aller Menschen betonen. Dabei hilft die Idee einer Menschheitsfamilie, weil sich innerhalb einer Familie Vernichtungsfantasien verbieten. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser nennt außerdem das Gewaltverbot der Vereinten Nationen als wichtigen Orientierungsrahmen. Und er erzählt, wie wichtig es ist, den Frieden immer wieder in sich selbst zu finden, um ihn dann nach außen tragen zu können.
Im Laufe der Geschichte haben die Menschen einander unendlich oft auf grausamste Weise Gewalt angetan, und sie tun es auch heute noch. Einige Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten fühlen sich daher deprimiert und ohnmächtig. Aber diese Gefühle helfen uns nicht weiter. Weil wir als Menschen verantwortlich für die Gewalt sind, haben wir auch den Schlüssel in der Hand, das Drama zu beenden. Denn Krieg, Terror und Folter sind keine Naturgewalten wie Erdbeben oder Tornados, denen wir hilflos ausgesetzt sind. An jedem Einsatz von Gewalt ist immer mindestens ein Mensch beteiligt, oft eine ganze Gruppe. Immer mehr Menschen wird klar, dass die destruktive und zerstörerische Bewusstseinsebene, auf der wir uns heute befinden, am Ende ihrer Nützlichkeit angekommen ist.
„Wir haben die Sklaverei, die Hexenverbrennung, den Kolonialismus, den Rassismus und die Apartheid überwunden“, betont Jürgen Todenhöfer. „Wenn es uns gelingt, auch noch den Krieg zu ächten, hat die Menschheit einen großen Schritt nach vorne getan“ (1).
Die Friedensbewegung muss darauf vertrauen, dass eine Welt ohne Krieg möglich ist. „Entschlossenheit und Zuversicht sind, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, die Schlüssel zum Gelingen“, rät der Dalai Lama weise. Als ersten und auch wichtigsten Schritt braucht es daher den Willen zum Frieden. Ich bin davon überzeugt, dass der Ausstieg aus der Gewaltspirale grundsätzlich möglich ist. Entscheidend ist, dass wir den inneren und äußeren Frieden wirklich wollen. Wenn dieser Wille stark ist, können wir uns für die praktische Umsetzung an den drei Prinzipien Menschheitsfamilie, UNO-Gewaltverbot und Achtsamkeit orientieren, welche uns wie drei hell leuchtende Sterne den Weg durch das 21. Jahrhundert weisen (2).
Das Prinzip Menschheitsfamilie ist ein zentraler Leuchtstern für die Friedensbewegung. Die in diesem Buch dargelegten Beispiele zum brutalen europäischen Imperialismus und zum skrupellosen Imperialismus der USA belegen, dass der Einsatz von Gewalt jeweils dadurch ermöglicht wurde, dass die Imperialisten eine Gruppe von Menschen — Indianer, Afroamerikaner, Japaner, Deutsche, Vietnamesen, Iraker, Afghanen und viele andere mehr –explizit aus der Menschheitsfamilie ausgeschlossen hatten.
Durch Kriegspropaganda wurde jedes Mitgefühl mit der ausgeschlossenen Gruppe ausgelöscht.
Die Deutschen wurden als „brutale und bluttriefende Hunnen“ und die Japaner als „gelbe Affen“ bezeichnet. Danach wurde der Einsatz von Gewalt, inklusive der Abwurf von Atombomben, als notwendig dargestellt. Dieser Wahnsinn zeigt, wie verwirrt und unbewusst wir Menschen immer wieder sind. Wenn wir uns an das Prinzip Menschheitsfamilie erinnern, wachen wir aus dem unbewussten Zustand auf. Dann wird uns klar, dass jede und jeder durch seine Geburt zur Menschheitsfamilie gehört, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht, Bildung, Religion oder Vermögen. Und in der Familie gilt die einfache Regel, dass man durchaus unterschiedliche Ansichten vertreten darf, sich aber untereinander nicht töten soll.
Das Prinzip UNO-Gewaltverbot ist ein weiterer wichtiger Leuchtstern für die Friedensbewegung. Nach dem unsäglichen Leiden im Zweiten Weltkrieg formulierten die Menschen 1945 ein revolutionäres neues Prinzip, das den Angriff von einem Land auf ein anderes Land strikt untersagt, wie auch das verdeckte Bewaffnen von Banden, um in einem anderen Land die Regierung zu stürzen. Dies war ein großer Fortschritt. Das in der UNO-Charta in Artikel 2 Absatz 4 verankerte Gewaltverbot ist das heute geltende Völkerrecht und besagt:
„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Wenn jeder Staat sich an dieses Gewaltverbot hält und seine Soldaten nicht ins Ausland schickt, sondern strikt innerhalb der eigenen Landesgrenzen als rein defensive Armee hält, wird das den Frieden stärken. „Die Zukunft der Demokratie hängt von den Menschen ab, und ihrem wachsenden Bewusstsein für einen würdevollen Umgang mit allen Menschen der Erde“, erklärt US-Historiker Howard Zinn treffend (3).
Das Prinzip Achtsamkeit ist der dritte Leuchtstern für die Friedensbewegung. Wir brauchen im 21. Jahrhundert einen Bewusstseinswandel und mehr Achtsamkeit. Wenn wir mit geschlossenen Augen den Blick nach innen richten, können wir erkennen, wie verschiedene Kriegstreiber unsere Gedanken und Gefühle durch Kriegspropaganda seit Jahrzehnten gezielt verwirrt haben und dies auch heute noch tun.
Die von US-Präsident Johnson vorgetragene Lüge über den Zwischenfall im Golf von Tonkin 1964 war verheerend, denn sie führte in den Vietnamkrieg. Ebenso hat die von US-Präsident Bush vorgetragene Lüge über die ABC-Waffen großen Schaden angerichtet und 2003 den illegalen Angriff auf den Irak ausgelöst. Auch die Sprengung von WTC7 am 11. September 2001 irritiert. Wer aus seinem unbewussten Zustand aufwacht, wird schnell erkennen, dass Krieg und Lüge immer Hand in Hand gehen. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari berichtet, dass er jeden Tag zwei Stunden mit geschlossenen Augen meditiert und dabei seinen Atem beobachtet. „Das ist keine Flucht vor der Wirklichkeit“, erklärt Harari.
„Es bedeutet im Gegenteil, mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen“ (4).
Auch ich übe mich in Achtsamkeit, versuche immer wieder den Blick nach innen zu richten und meine Gedanken und Gefühle zu beobachten. Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, müssen wir alle Kriegslügen hinter uns lassen.
Wer sich in Achtsamkeit übt, kann nicht mehr so leicht durch psychologische Operationen getäuscht werden.
Bekannte Achtsamkeitslehrer wie Eckhart Tolle erklären, dass wir dann achtsam sind, wenn wir unsere Gedanken und Gefühle aus einer gewissen Distanz wie vorbeiziehende Wolken beobachten und erkennen, dass wir nicht unsere Gedanken und Gefühle sind, sondern das formlose klare Bewusstsein, in welchem diese aufsteigen und auch wieder vergehen. Jeder kann für den Frieden etwas tun, indem er sich täglich in Achtsamkeit und friedlicher Kommunikation übt. Durch Achtsamkeit wird der innere Frieden gestärkt. Dieser ist die Basis für jeden Frieden in der Außenwelt (5).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Jürgen Todenhöfer: Du sollst nicht töten. Mein Traum vom Frieden, Bertelsmann 2015, Seite 5
(2) Dalai Lama: In die Herzen ein Feuer, Barth Verlag 1996, Seite 44
(3) Howard Zinn: A People’s History of the United States, Harper 2015, Seite 682. Siehe auch: Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien, Orell Füssli 2016
(4) Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, C.H. Beck 2019, Seite 410
(5) Eckhart Tolle: Eine neue Erde: Bewusstseinssprung anstelle von Selbstzerstörung, Arkana Verlag 2005
Dieser Artikel ist von Daniele Ganser und darf unter der Creative Common Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 (mit Namensnennung) für nicht-kommerzielle Zwecke verbreitet und vervielfältigt werden.
(Mit Dank an Rubikon)