„Cold Case“: 15-Jährige vor 40 Jahren spurlos verschwunden – Vatikan reaktiviert Ermittlungen (Video)

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Bild: Fotomontage Niki Vogt, gemeinfrei

von Niki Vogt

Mafia-Verbindungen, Kokainhandel, Sexpartys im Vatikan, Missbrauch Minderjähriger, eine Ex-Mafia- Braut, die den Capo di Capi verpfeift, ein Erzbischof und Exorzist, ein Bankdirektor, der unter einer Londoner Brücke am Strick baumelt, unaufgeklärter Mord, finstere Geldgeschäfte und zwei tote junge Mädchen … die Zutaten für eine wilde Räuberpistole. Aber so geschehen im Vatikan.

Es war still geworden um den mysteriösen Fall der 15Jährigen Emanuela Orlandi. Sie verschwand spurlos im Jahr 1983, vor fast 40 Jahren in Rom, auf dem Nachhauseweg nach einer Musikunterrichtsstunde. Zeugen wollen angeblich gesehen haben, wie sie in einen dunklen BMW einstieg. Sie war eine Staatsangehörige des Vatikan, ihr Vater war ein „ziviler“ Angestellter dort. Das Verschwinden war rätselhaft, ihr Verbleib konnte nicht geklärt werden.

Im November 2018 kam der Fall wieder in die Schlagzeilen. Ein mysteriöser Fund von menschlichen Knochen auf Vatikangebiet ließ die Ermittlungen wieder aufleben. Es geht eigentlich um zwei „kalt gewordenen Fälle“ vermisster Mädchen: Emanuela Orlandi und Mirella Gregori, die beide seit 1983 verschwunden blieben. Handwerker entdeckten die menschlichen Skelettreste bei Renovierungsarbeiten in einem Gebäude des Vatikans in Rom. Der grausige Fund wurde den römischen Behörden gemeldet.

Ein unbekanntes menschliches Skelett, vergraben auf dem Gelände des Vatikans – das sorgt in Rom für Aufregung. Das vor Jahrzehnten verschwundene, junge, 15jährige Mädchen Emanuela Orlandi könnte sehr gut das Opfer eines Sexualverbrechens im Vatikan geworden sein. Dieser Verdacht stand schon damals im Raum.

Fast 40 Jahre sind es her, dass Emanuela Orlandi in Rom — ohne irgendeinen erkennbaren Grund — einfach spurlos verschwand. Der hübsche Teenager wurde noch am Nachmittag des 22. Juni 1983 von einigen Zeugen gesehen, als Emanuela ihre Musikschule nach einer Flötenstunde in der Innenstadt verließ. Seither ist das junge Mädchen – dieses Jahr würde sie ihren 55. Geburtstag gefeiert haben – wie vom Erdboden verschluckt. Emanuela Orlandi war Tochter eines Vatikanpolizisten und wuchs im Kirchenstaat auf. Der Fall gilt als einer der mysteriösesten Kriminalfälle Italiens. Die Familie der Vermissten leidet heute noch darunter: „Wir haben Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit und werden nie aufgeben, das zu fordern“, sagt Pietro Orlandi, Emanuelas Bruder, seit dreißig  Jahren.

Die Skelettteile wurden auf dem Gelände der Apostolischen Nuntiatur in Rom gefunden. Die Botschaft des Vatikan bei der Republik Italien liegt zwar in einem römischen Nobelviertel, das Areal ist aber „extraterritorial“ und gehört zum Vatikanstaat. Die Knochenreste unter dem Pförtnerhaus der großen Anlage könnten also sehr wohl zu einer Person gehören, die abseits jeder Aufmerksamkeit vergraben werden sollte. Der Verdacht, dass es sich um Emanuela Orlandi handelt oder die ebenfalls vermisste, junge Mirella Gregori, lag also nahe.

Tagelang stellte die Spurensicherung 2018 weitere Skelettteile sicher. Während beim ersten Ortstermin Teile eines Oberkörpers gefunden wurden, tauchten im weiteren Verlauf ein Schädel und ein Unterkiefer auf, die aber möglicherweise von einer zweiten Person stammen.  Gerichtsmediziner untersuchten die Gebeine und stellten fest, dass es sich um die Knochen  einer Frau im Alter zwischen 25 und 30 Jahren handelt. Das wäre eindeutig zu alt für Emanuela Orlandi oder Mirella Gregori.

Außerdem gab es da noch eine Aussage aus der Zeit nach dem Verschwinden Orlandis. Sabrina Minardi, die Ex-Freundin des Mafiagangsters Enrico De Pedis, sagte aus, dass De Pedis Emanuela Orlandi in seinem BMW entführt, getötet und dann in einer Betonmischmaschine am Rande der Stadt entsorgt habe. Frau Minardi erklärte, De Pedis habe das im Auftrag des im Vatikan hoch angesiedelten Erzbischofs Paul Marcinkus getan. Das klang damals weit hergeholt und ungeheuerlich. Doch sieht man sich die Indizien und Verstrickungen an – und folgt man der Spur der Geldes …

Paul Casimir Marcinkus war ein US-amerikanischer, katholischer Erzbischof und damals, von 1971 bis 1989, Direktor des Instituts für die religiösen Werke (IOR: Istituto per le Opere di Religione, der „Vatikanbank“) und nachweislich tief in äußerst zwielichtige Geschäfte verwickelt. Er war litauischer Herkunft und alles andere, als ein vergeistigter Kirchenmann. Er diente Papst Paul VI. als Leibwächter und war ein enorm kräftiger und gut trainierter Mann, was ihm den Spitznahmen „Der Gorilla“ eintrug. 1970 retteten er und Pasquale Macchi dem Papst bei einem Attentat auf den Philippinen das Leben.

Im Jahr 1982, kurz bevor die beiden Mädchen verschwanden, ereignete sich der Zusammenbruch der Banco Ambrosiano, die enge Geschäftsverbindungen mit der Vatikanbank unterhielt. Der Präsident der Banco Ambrosiano, Roberto Calvi, tauchte damals unter. Am 18. Juni 1982 wurde er unter der Blackfriars Bridge in London hängend aufgefunden. Seine Taschen waren mit Ziegelsteinen beschwert. Am selben Tag stürzte Calvis Sekretärin, Graziella Corrocher, aus einem Fenster der Bank in Mailand in den Tod. In beiden Fällen sprach man von Selbstmord – aber auch von Mord. Michele Sindonader Anwalt und enger Freund des Erzbischofs Marcinkus – und ebenfalls für die Banco Ambrosiano tätig – starb am 22. März 1986 im Gefängnis an einer Cyanidvergiftung.

Ermittlungen brachten ans Tageslicht, dass Signore Roberto Calvi und einige Kontaktleute über 200 „Geisterbanken“ gegründet hatten, die aber nur auf dem Papier existierten. Ein verwirrendes Geflecht von verschachtelten Konstrukten, die es den Ermittlern sehr schwer machte, Licht ins Dunkel der Geldflüsse zu bringen. Immerhin fand man heraus, dass eine – tatsächlich – echte Bank, die Cisalpina auf den Bahamas, die von Bankier Roberto Calvi und Erzbischof Marcinkus verwaltet wurde, anscheinend tief in den ganzen Sumpf verstrickt war. Über dieses Geldinstitut wurden Kokaingelder aus Lateinamerika mit Hilfe der World Finance Corporation in Miami gewaschen und in den Vatikan gebracht. Der Vatikan wies damals alle Anschuldigungen empört als „infam und unbegründet“ zurück. Es gab aber einen Haftbefehl gegen Monsignore Marcinkus und er konnte den Vatikan nicht verlassen. 

Im Jahr 2011 sagte Antonio Mancini, ein ehemalige Mitglied der Mafiabande „Banda della Magliana“, Emanuela Orlandis Entführung sei einer von verschiedenen Erpressungsversuchen gegen den Vatikan gewesen. Man habe  versucht, den Heiligen Stuhl zur Rück(?)-Zahlung großer Geldbeträge zu zwingen, die sich der Vatikan über die Banco Ambrosiana „ausgeliehen“ hatte. (Quelle: La Stampa)

Schon im Dezember 2009 gab es eine Spur von der Magliana-Mafia zum Vatikan und Emanuela Orlandi. Zwei weitere “reuige Mafiosis” packten aus. Einer der beiden, jener Antonio Mancini, erklärte, es habe finanzielle Streitigkeiten zwischen der Magliana-Bande und dem Vatikan gegeben. Das sei der Grund für die Entführung Orlandis gewesen.

Wusste Antonio Mancini etwas von den Sexparties im Vatikan? Kann es sein, dass Emanuela Orlandi vielleicht entführt wurde, um Monsignore Marcinkus, den Präsidenten der Vatikanbank zur Zahlung zu zwingen – oder Emanuela Orlandi würde zu einer Aussage über die besonderen Partys im Vatikan gezwungen werden? Hatte sich vielleicht sogar Monsignore Marcinkus selbst mit dem jungen Mädchen vergnügt und musste die Zeugin und das Erpressungsmittel beseitigen? Immerhin hatte die Ex-Freundin des Mafiabosses Enrico De Pedis ja behauptet, dass dieser das Mädchen auf Befehl von Marcinkus entführt habe und sie zum Schweigen bringen sollte (siehe oben).

Signore Enrico De Pedis war ein sehr gut aussehender und attraktiver Mann – und ein Emporkömmling in der Mafia-Gesellschaft. Schon recht jung stieg er zum “Capo di Capi” (der Kopf der Köpfe (also zum „Oberhäuptling“) der in den siebziger und achtziger Jahren gefürchteten Magliana-Bande auf. Einerseits wurde damals den Aussagen Sabrina Minardis nicht viel Glauben geschenkt, weil sie sich ziemlich in Widersprüche verwickelte, drogensüchtig war und ihrem “Ex” offensichtlich eins auswischen wollte. Andererseits tätigte im Jahr 2007 ein ehemaliges Magliana-Mitglied bei der Staatsanwaltschaft Roms die Aussage, die Mafia habe sehr wohl mit dem Fall Orlandi zu tun. „Man sagte, dass das Mädchen unsere Sache war, einer von uns hatte sie sich geschnappt”, zitierte die Repubblica im Juni 2008 den Superzeugen“.

 

Es gibt noch einen weiteren Hinweis auf den Missbrauch der minderjährigen Emanuela:

Im September 2017 veröffentlichte der italienische Journalist Emiliano Fittipaldi eine Liste, die ihm aus dem Vatikan zugespielt worden sein soll. Darin waren vom Vatikan aufgebrachte Kosten „über Aktivitäten betreffend die Bürgerin Emanuela Orlandi“ aufgelistet, insgesamt rund 250.000 Euro. Wer wollte, konnte aus dem Dokument den Leidensweg Orlandis herauslesen. Kosten für die Unterbringung des Mädchens in London, „investigative Maßnahmen“, das „Legen einer falschen Fährte“ sowie die Rechnung einer Gynäkologin waren aufgeführt. „Verlegung in den Vatikanstaat“ lautet der letzte Posten aus dem Juli 1997. Wurde die Tochter eines Mitarbeiters in der päpstlichen Präfektur entführt und ermordet?”

Im Zusammenhang mit den Aussagen der Mafia-Gangster entsteht der Eindruck, als sei Emanuela Orlandi ein blutjunges Missbrauchsopfer des Vatikans geworden und nach London gebracht, weil sie möglicherweise schwanger wurde und das Kind abgetrieben werden musste.

Entweder diese Vorfälle dienten als Erpressungspotenzial gegen den Vatikan – oder man hat sie dann vielleicht als zu alt oder “unbrauchbar geworden” in Rom wieder laufen lassen wollen – oder gleich die Mafia beauftragt, das Mädchen umzubringen, um eine Zeugin aus dem Weg zu räumen. Dazu passt auch die Aussage des 85-jährigen Paters Gabriele Amorth im Mai 2012. Er war der oberste Exorzist des Vatikans und von Papst Johannes Paul II in das Amt eingesetzt worden, also kein kleines Licht im Vatikan und er hatte sicher Informationen, die nicht jeder kannte. Nach Pater Amorths Aussage sei Orlandi von einem Mitglied der Vatikanpolizei als Opfer für Sexpartys entführt und später ermordet worden. Daran sollten auch Beamte einer anonymen ausländischen Botschaft beteiligt gewesen sein. (Quelle: Telegraph)

Das zweite junge Mädchen, Mirella Gregori, verschwand im selben Zeitraum, 40 Tage vor Emanuela Orlandi. Ihre Mutter gab der Polizei zu Protokoll, Mirella habe ihren Eltern nach einem Gespräch über die Haustür-Gegensprechanlage gesagt, ein Schulfreund wolle sie kurz sprechen, sie gehe nur schnell nach draußen. Sie kam nie zurück. Die Ermittler schließen einen Zusammenhang zwischen den beiden Vermisstenfällen nicht aus.

In einer von Netflix produzierten Serie behauptet eine ehemalige Freundin, Emanuela Orlandi sei nur eine Woche vor ihrem Verschwinden von einer Person mit einem sehr engen Verhältnis zum Papst sexuell belästigt worden. Monsignore Marcinkus?

Mirella Gregoris Schwester Maria Antonietta sagte damals: „Ich will mir keine falschen Hoffnungen machen, aber in der Tiefe meines Herzens hoffe ich, dass diese Knochen von Mirella sind.“ Dann gäbe es endlich einen Ort, wo sie um ihre Schwester trauern könne. Und der Bruder des vermissten Mädchens, Pietro Orlandi, behauptet: Dass der Vatikan genau wüsste, was mit Emanuela passiert ist und wo sie begraben wurde.

Der Vatikan jedenfalls gab bekannt, man werde jetzt die Ermittlungen im Fall der spurlos verschwundenen, 15-jährigen Emanuela Orlandi, wieder aufnehmen. Das gab der Heilige Stuhl am 9. Januar 2023 bekannt. In einer der wohl berühmtesten Cold-Case-Ermittlungen will der Vatikan unter Papst Franziskus die Wahrheit herausfinden. Wenn man sie dort nicht schon lange kennt.

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