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von Niki Vogt
Julian Assange ist ein hochverdienter Mann. Er hat Dinge aufgedeckt, die der Welt die Augen geöffnet haben, mit welchen üblen Mitteln Staaten ihre Machtinteressen durchsetzen, was hinter den Kulissen der noblen Staatsmänner wirklich passiert, und welche scheußlichen Untaten dazu begangen werden. Natürlich ist es unvermeidlich, dass man dabei den Mächtigen auf die Füße tritt. Insbesondere, wenn es die USA sind. Julian Assange wusste das. Aber er hatte den Mut und immer noch ein Restvertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der westlichen Länder. Wie es scheint, eine zu romantische Vorstellung. Er wird wohl doch an die USA ausgeliefert.
Die Daily Mail berichtet als Erste heute morgen. Der Grund, dass seine Berufung gegen das Auslieferungsverfahren an die USA abgelehnt wurde ist, dass der Vorwurf der Spionage erhoben wird. Seit einem Jahr steht Herr Assange nun schon in Großbritannien vor Gericht, um zu verhindern, dass er in die USA ausgeliefert wird, wo ihm (absurde) 175 Jahre Gefängnis drohen könnten. Der damalige britische Innenminister, Frau Priti Patel hatte die Auslieferung schon unterzeichnet. Die Stiftung „Freedom of the Press“ (Freiheit der Presse) zeigt sich tief enttäuscht über die Berufungsablehnung. Nach einem Jahr Prozess scheitert Assange jetzt an dem Vorwurf der Spionage.
Laut Daily Mail wird im britischen Innenministerium schon eifrig an dem „Papierkram“ gearbeitet, um eine schnelle Auslieferung zu ermöglichen. Wenn es also keine weitere juristische Hürde gibt, könnte Assange schon in wenigen Wochen an die USA ausgeliefert werden. Um diese Tragödie zu verhindern, müssen nun alle noch verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt werden.
Seth Stern, der Direktor der Rechtsabteilung und Anwaltschaft von „Freedom of the Press“ ist schockiert: Die Vorstellung, dass das, was investigative Journalisten jeden Tag tun, nämlich vertrauliche Dokumente zu finden und zu veröffentlichen, nun vor einem US-Gericht als Spionage verfolgt wird, sollte alle Amerikaner zutiefst erschrecken. Sollte US-Präsident Joe Biden diesen Fall weiter seinen Lauf nehmen lassen, werden auch spätere Regierungen den Fall Wiki-Leaks und Julian Assange als Musterbeispiel für die verfassungswidrige Verfolgung und Kriminalisierung von unbequemen Journalisten benutzen. Es sei an der Zeit, dass Präsident Biden den Fall ad acta legt, das Auslieferungsbegehren gegen Julian Assange fallen lässt und der Welt zeigt, dass er das Grundrecht auf Pressefreiheit ernst nimmt.
Julian Assange wäre schon längst in den USA und hinter Gittern, hätte ein Richter des Westminster Magistrates Court nicht im Jahr 2021 seine Auslieferung wegen der dringenden Gefahr des Selbstmordes untersagt. Nachdem aber die US-Regierung versicherte, menschenwürdige Haftbedingungen zu garantieren und ihm keine „highly restricted prison conditions“ (also erschwerte Haftbedingungen) aufzuerlegen, kassierte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreiches das richterliche Auslieferungsverbot.
Julian Assanges Ehefrau, Stella Assange, teilte gestern der Presse mit, dass er gegen diese Gerichtsentscheidung wiederum Berufung einlegen werde. In einer öffentlichen Anhörung vor zwei neuen Richtern am Obersten Gerichtshof wird der Fall der Auslieferung dann noch einmal verhandelt. Sie ist zuversichtlich, dass die Berufung durchgeht. Das ist allerdings seine allerletzte Chance, das Urteil aufzuheben. Dann sind seine Möglichkeiten vor britischen Gerichten ausgeschöpft. Wird die Berufung abgelehnt, so die Menschenrechtlerin Stella Assange, konnte es sein, dass er den Rest seines Lebens in Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verbringen muss.
Das dafür, dass er ein paar der Kriegsverbrechen der USA mit allen Beweisen veröffentlicht hat. Das wäre ein fatales Signal für die ganze Welt und die Geschichte. Es waren die USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutschen – kraft ihrer Macht als Sieger – vor Gericht stellten und für ihre Untaten aburteilten. Die Führungsriege des nationalsozialistischen Regimes wurde in den berühmten Nürnberger Prozessen zur Verantwortung gezogen und wegen ihrer Kriegsverbrechen auch teilweise hingerichtet.
Dieselben USA, die jedes Land, das sich nicht wehren kann, mit Kriegen und Greueltaten überziehen, wollen jetzt einen Mann, der ihre scheußlichen Kriegsverbrechen aufdeckte, (möglicherweise für immer) im Gefängnis verschwinden lassen. Einfach, weil sie es durchsetzen können, aber immer aus vorgeblich hochmoralischen Gründen. Kann man sich noch unglaubwürdiger machen?
Eine andere, letzte Verteidigungslinie bleibt Julian Assange noch. Schon im Dezember 2022 hat er diese Möglichkeit ergriffen: Er legte auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR)Berufung gegen seine Auslieferung ein. Allerdings müsste es dort jetzt schnell gehen. Der EU-Gerichsthof müsste jetzt eine einstweilige Verfügung (Anordnung gemäß Regel 39) erlassen. Das würde die Auslieferung sofort blockieren, bis ein Gerichtsverfahren in Straßburg darüber entscheidet, ob es es sich um eine Verletzung der Menschenrechte handelt oder nicht.
Diese „einstweilige Maßnahme“ wird üblicherweise zur Aussetzung einer Auslieferung eingesetzt. Meisten in Asylverfahren, wenn der Asylbewerber geltend macht, dass er in seinem Heimatland politische Verfolgung zu befürchten hat. In den Jahren zwischen 2020 und 2022 gab der EGMR zwölf von 161 Anträgen auf diese „einstweilige Verfügung“ statt. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass viele Begehren dieser Art nicht stichhaltig sind, weil die betreffenden Antragssteller in ihrer Heimat gar nicht wirklich verfolgt werden.
Die „Daily Mail“ gibt zu bedenken, dass es politischen Druck auf das EGMR geben könnte, Assanges Anrufung abzulehnen:
„Such an order would be extremely controversial and likely be seen as another attack on British sovereignty, fuelling calls for Britain to leave the European Convention on Human Rights.“
Übersetzung: Eine solche Anordnung wäre äußerst umstritten und würde wahrscheinlich als ein weiterer Angriff auf die britische Souveränität aufgefasst werden. Das würde Forderungen nach einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention befeuern.
Angesichts der Tatsache, dass die USA Julian Assange bereits im Jahr 2019 wegen ca. 500.000 durchgestochener Dokumente aus 2010 und 2011 zum Irakkrieg (2003) und Afghanistankrieg (2001) angeklagt hatte, ist dieser Kampf um die Pressefreiheit und die Auslieferung und Kriminalisierung eines mutigen investigativen Journalisten einer der längsten des 21. Jahrhunderts. Eine untilgbare Schande für die USA. Und auch für Großbritannien, wenn Julian Assange, ein Held und Kämpfer gegen schwere Verbrechen an den Verbrecher selbst ausgeliefert wird.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Seite „dieUnbestechlichen.com„