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von Niki Vogt
In den Gärtnereien und Gartenmärkten gibt es schon eine Weile die Steigen mit den vorgezogenen Gemüsepflänzchen zu kaufen. Zwischen zwei und acht Euro bezahlt man, je nach Sorte und Anbieter für die Pflanzenkinder, die dann meistens schon so weit vorgezogen sind, dass sie ins Freiland gesetzt werden können, sobald sicher ist, dass keine Nachtfröste den zarten Blättern und Stängeln den Garaus machen können. Das ist nämlich extrem frustrierend, am Morgen schlappe Pflanzen, die wie gekocht auf der Erde liegen anzutreffen, wo gestern noch das pralle Leben war. Letztendlich kann man sich am Datum 15. Mai grob orientieren, das ist die vielgefürchtete „kalte Sophie“. Danach kommt eigentlich kaum mehr Nachtfrost.
Nicht nur, dass die Pflanzen aus dem Gartenmarkt nicht gerade preiswert sind, sie haben auch oft Eigenschaften, die nicht so wirklich vorteilhaft sind.
Die meisten gekauften Gemüsepflänzchen sind so genannte F1-Hybriden. Das sind Kreuzungen aus zwei verwandten Pflanzensorten, deren Nachkommen in erster Generation sehr ertragreich und kräftig sind. Sie haben möglicherweise viele Vorteile, aber – bisweilen absichtlich herbeigeführt – einen ganz entscheidenden Nachteil: Die Samen dieser Pflanzen können nicht keimen oder bilden nur sehr schwächliche Pflanzen mit schlechten oder gar keinen Erträgen aus. So muss jedes Jahr neu nachgekauft werden. Oder man muss darauf achten, dass die Pflanze „samenfest“ ist oder „sortenrein“.
Das ist ähnlich, wie bei Maultieren. Sie sind eine Kreuzung aus Pferd und Esel. Die Tiere sind geduldig, stark, ausdauernd, genügsam und geländegängig – und unfruchtbar.
Pflanzen, aus deren Samen man neue Pflänzchen ziehen kann, nennt man „samenfeste Sorten“. Diese Nachkommen haben dieselben Eigenschaften und denselben Wuchs wie die Mutterpflanzen. Sie können auf ganz natürliche Weise vermehrt werden, indem man einige Pflanzen stehen und Samen ausbilden lässt.
Bei Kohlarten sind es die Blütenstände, die den Samen liefern. Brokkoli zum Beispiel bildet einen Puschel kleiner gelber Blüten aus, wenn man die knubbeligen, grünen Knospenstände stehen lässt, die man normalerweise kocht und verzehrt. Kopfsalat „schießt“ in die Höhe, es wächst ein langer Stängel empor mit kleinen Blüten, aus denen die Samen heranreifen. Bei Tomaten, Paprika, Gurken und Zucchini dagegen entstehen die Samenkörner in der Frucht selbst.
Natürlich können auch passende Einkreuzungen die Ertragsfähigkeit oder Robustheit der Pflanzenart verbessern. Die Nachkommen dieser Pflanzen begründen dann eine neue Sorte, und müssen züchterisch durch Auslese und weitere Einkreuzungen bearbeitet werden, bis die Sorte ihre vorteilhaften Merkmale einheitlich in jeder weiteren Generation zuverlässig zeigt.
Samenfeste Sorten, ganz besonders alte, regionale Sorten, haben viele Vorteile:
- Sie sind meist optimal auf den Standort angepasst, sowohl was die Bodenbeschaffenheit, das Klima und auch die Pflege betrifft.
- Weil sie nicht so anfällig sind wie moderne, gezüchtete Sorten, braucht man in der Regel wesentlich nicht mit chemischen Mitteln gegen Erkrankungen und Schädlingsbefall zu kämpfen, oder Kunstdünger einzusetzen. Dadurch erhält man gesündere Lebensmittel.
- Die Erhaltung und Weiterverbreitung von alten, samenfesten Sorten erhält die Biodiversität.
- Man ist unabhängig von Saatgutherstellern. Gibt es aus irgendwelchen Gründen keine Pflänzchen oder Samen zu kaufen, weil die Gärtnereien alle Mitarbeiter in Corona-Quarantäne sind oder gleich auch alle Gartencenter geschlossen, ist alles mühsam erworbene gärtnerische Können vergebens, wenn es keine Samen zur Anzucht gibt.
- Samenfeste Sorten wachsen meistens langsamer und bilden kleinere Früchte aus. Sie sind nicht auf Mengenertrag gezüchtet. Dafür schmeckt das Gemüse oft intensiver und aromatischer.
Wer sich also die hübsch und appetitlich bedruckten Saatgut-Tütchen oder Jungpflanzen in Töpfchen in den Geschäften und Gärtnereien für seine gärtnerischen Pläne aussucht, sollte darauf achten, ob da irgendwo die Bezeichnung „F1-Hybride“ oder „Hybridsorte“ steht. Das ist im Prinzip ein im Erbgut schon eingebauter Vermehrungsstopper (Terminatorsaat), und man kann ziemlich sicher sein, dass es sich um nicht vermehrungsfähige Pflanzen handelt, der Samen nicht keimt oder die aus diesem Samen keimende Pflanze keine brauchbaren Erträge erzielt.
Besondere Vorsicht ist bei der Bezeichnung CMS-Hybriden geboten. Dahinter verbirgt sich letztendlich gentechnisch verändertes Saatgut oder Jungpflanzen. Die Abkürzung CMS bedeutet „cytoplasmatische männliche Sterilität“. Bei diesem Verfahren werden Pflanzen durch Zellfusion gekreuzt, also nicht durch normale Befruchtung. CMS-Hybrid-Pflanzen sind männlicherseits vollkommen steril. Im Bio-Anbau ist die Verwendung dieses Saatgutes verboten.
Der Mangel an samenfesten Saatgut bei Gemüse ist nach Ansicht der Fachleute in der Bio-Branche schon zu einem Problem geworden. Michael Fleck, der Geschäftsführer des Vereins Kultursaat e. V., der sich dem Erhalt solcher, meist traditioneller, bäuerlicher Sorten verschrieben hat, sieht den Handlungsbedarf bei den Gemüsepflanzen sehr unterschiedlich.
Besonders bei Kohlarten liegt der Anteil der Hybridsorten üblicherweise fast bei 100%. Auch Gemüse wie Paprika, Zucchini und Tomaten sind hauptsächlich Hybriden. Salat und Kürbis sind selbst bei konventionellen Anbauern und Züchtern noch samenfeste Sorten. Bei Möhren, Spinat und roter Beete liegt der Prozentsatz der vermehrungsfähigen Pflanzen immerhin noch bei 20 %.
Es gibt diverse Anbieter, die samenfestes Saatgut anbieten, zum Teil auch Seminare und Lehrgänge hierzu, wie man aus den Gemüsepflanzen im Garten die Samen für das nächste Jahr gewinnt. Züchter wie „Bingenheimer Saatgut“, „samenfest“ oder „Bantam“ verkaufen solches Saatgut, aber auch die Bioläden. Dann gibt es noch Saatgutfonds wie die Zukunftsstiftung Landwirtschaft „GLS Treuhand“.
Wer sich mit den alten und regionalen Gemüsesorten einmal etwas näher beschäftigt, stellt fest, dass es sehr viel mehr Gemüsearten gibt, als heute in den Supermärkten angeboten wird: Pastinaken und Portulak, Steckrüben, Mangold, Eiskraut, Navetten, Butterrüben und Wurzelpetersilie bieten vollkommen neue Geschmackserfahrungen, die sich lohnen zu entdecken!
Im nächsten Newsletter werde ich das Thema Anzuchterde und Pflege behandeln, damit aus den guten Samenkörnern auch kräftige Pflänzchen werden!
http://www.gartenbauvereine-landkreis-kelheim.de/Kreisverband_T3/index.php?id=27#c425
http://magazin.gartenzeitung.com/Gartenwissen/gemuese-blumen-samen.html
http://www.meinkleinergarten.de/Samen-richtig-Saeen-3.html
http://www.garten-in.de/blumen-pflanzen/pflanzen-ziehen-im-fruehling-anzuchtkaesten/
http://www.hausgarten.net/gartenforum/obst-und-gemuesegarten/54024-kostenloser-anzuchtkasten.html
Saatgut:
http://www.saatgutkampagne.org/
http://www.bingenheimersaatgut.de/content/de/Ueber-uns.html
http://www.schrotundkorn.de/2011/201102p01.php
http://www.immergruen-naturkost.de/samenfest.html
http://www.scharf-links.de/42.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=26963&cHash=037da6fc2f
http://www.kultursaat.org/pdf/burger11.pdf
http://www.gartenwelt.de/artikel/4277/neu-entdecken-gemuese-aus-grossmutters-garten/